Titel
Stato della ricerca e prospettive della medievistica tedesca. Roma, 19-20 febbraio 2004


Herausgeber
Matheus, Michael; Miglio, Massimo
Reihe
Istituto Storico Italiano per il Medio Evo. Nuovi studi storici 71
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
o. Angabe
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kordula Wolf, Rom/Berlin

Der Wandel gesellschaftlicher wie institutioneller Rahmenbedingungen, die Öffnung von Fächergrenzen und die zunehmende Internationalisierung der Forschung haben während der vergangenen Jahre die Mediävisten verstärkt zur Selbstreflexion und Standortbestimmung angeregt.1 Auch das unlängst erschienene Sammelwerk ‚Forschungsstand und Perspektiven der deutschen Mediävistik’ nimmt sich dieser Herausforderung an und setzt dabei eigene Akzente. In Konzentration auf die deutsche Forschung geht es nicht um eine Bestandsaufnahme des Faches insgesamt. Vielmehr wurde ein exemplarisches Vorgehen gewählt, mit Schwerpunkt auf der historischen Mediävistik. Der Band versammelt im Wesentlichen Beiträge, die auf eine 2004 in Rom vom Deutschen Historischen Institut und dem Istituto Storico Italiano per il Medio Evo veranstaltete Tagung zurückgehen, bei der es sich um die erste gemeinsame wissenschaftliche Unternehmung dieser Art handelte. Mit der Ordensgeschichte (Gert Melville), Ritualgeschichte (Gerd Althoff), Verfassungs- und Landesgeschichte (Bernd Schneidmüller), Adelsgeschichte (Andreas Ranft), Sozialgeschichte (Knut Schulz), Stadtgeschichte (Gerhard Fouquet) und Wirtschaftsgeschichte (Franz Irsigler) sowie der Grundlagenforschung (Rudolf Schieffer) finden in Auswahl wichtige Bereiche der deutschen Mittelalterforschung Berücksichtigung. Die Ritualgeschichte ausgenommen, bilden damit überwiegend traditionelle Themenfelder und Gebiete den Ausgangspunkt der Beiträge, was aber nicht ausschließt, dass aktuelle inter- und transdisziplinäre, kultur- und europageschichtliche Forschungen – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – zur Sprache kommen. Obschon einleitend betont wird, dass es inhaltlich nicht um einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Mediävistik gehe, wäre zu den thematischen Eingrenzungskriterien mehr als ein Hinweis auf den zeitlich beschränkten Rahmen der Tagung angebracht gewesen.

Als profunde Kenner der Materie geben alle Beiträger für die von ihnen behandelten Aspekte einen konsistenten Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Bei einem Großteil der versammelten Aufsätze wird hierbei deutlich, wie sich in den vergangenen Jahren durch Disziplingrenzen überschreitende Ansätze und nicht zuletzt infolge der EU-Erweiterung auf zentralen Gebieten der deutschen Mittelalterhistorie Schwerpunkte verlagert und Perspektiven verändert haben. Dass die zunehmende Internationalisierung der Forschung etablierte Epochengrenzen fraglich werden lässt, thematisiert Michael Matheus anhand der Epochenschwelle um 1500, die aufgrund ihres Bezugs zur Reformation für italienische Mediävisten keinen Einschnitt bedeute. Damit kommt eine grundlegende Problematik zur Sprache, über die seit längerem intensiv diskutiert wird und für die man sicherlich auch zukünftig keine einheitlichen Lösungen wird finden können.

Den Wandel der deutschen Verfassungsgeschichte von einer reinen Institutionengeschichte hin zum Konzept konsensualer Herrschaft, zu Fragen der Machtrepräsentation und symbolischen Kommunikation skizziert Gerd Althoff am Beispiel der Machtrituale. Programmatisch fordert er dazu auf, die Fruchtbarkeit des Ritualkonzepts nicht auf der Theorieebene, sondern anhand der erzielten Resultate zu messen. Hinsichtlich zukünftiger Forschungsperspektiven äußert sich Althoff indessen enigmatisch, überlässt er es doch den Lesern, sich unter dem „bereits vor der Tür stehenden nächsten Paradigmenwechsel“ (S. 60) Konkretes vorzustellen. Auch Bernd Schneidmüllers Ausführungen nehmen von der Verfassungsgeschichte ihren Ausgang, zielen aber in eine andere Richtung. Unter Bezug auf die Aktivitäten und Publikationen des Konstanzer Arbeitskreises zeigt er, wie sich die Aufmerksamkeit der jüngeren Forschung von der einstigen Verfassungsgeschichte ab- und zur Geschichte politischer Ordnungen und politischer Identitäten im europäischen Mittelalter hingewendet hat. Mit anderen Beiträgern (besonders Matheus, Melville und Schulz) ist er sich einig, dass die Spezialisierung auf nationale Themen den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sei und neue Herangehensweisen wie etwa den europäischen Vergleich erfordere. Gerade weil die europäische Geschichte gegenwärtig ein durch große Themen- und Methodenvielfalt geprägtes Untersuchungsfeld bilde, seien zukünftige Perspektiven noch kaum zu erkennen. Keineswegs aber, so Schneidmüller, dürfe Europa den Endpunkt mediävistischer Forschung darstellen.

Dass sich Ordens- und Adelsgeschichte in besonderem Maße für grenzüberschreitende Forschungen anbieten, führen Gert Melville und Andreas Ranft vor Augen. Nach Melville waren es in erster Linie die weit gespannten institutionellen Netze der Religiosen, welche den Zusammenhalt des europäischen Kontinents befördert hätten. In der Frage nach der sozialen und kulturellen Bedeutung der vita religiosa und der religiösen Orden sowie in der Aufarbeitung der komplexen Beziehungsstruktur zwischen Kloster und Gesellschaft sieht er wichtige Forschungsfelder, um Aufschlüsse darüber zu gewinnen, in welchem Maße klösterliches Leben unsere kulturelle Identität geprägt habe. Dass auch der Adel als elitäre Gruppe der Gesellschaft mit speziellen Gewohnheiten zunehmend als ein europäisches Phänomen untersucht wird, geht aus Ranfts Beitrag hervor. Zugleich wird hier das enorm breite – sich durch die Zusammenarbeit mit Fächern wie der Architektur- und Kunstgeschichte noch erweiternde – Themenspektrum der Adelsgeschichtsforschung angesprochen und am Beispiel von Hof und Residenz vertiefend behandelt. Eine wichtige Aufgabe bleibe, so Ranft, die intensive Auswertung der bisher erzielten Ergebnisse.

Auf den Stellenwert interdisziplinärer Zusammenarbeit wird nicht zuletzt auch von Gerhard Fouquet und Franz Irsigler hingewiesen. In einem soliden Forschungsüberblick für den Bereich der Stadtgeschichte arbeitet Fouquet vor allem den Einfluss von Erich Maschkes sozialem Schichtenmodell für struktur- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze heraus. In Zukunft bleibe neben der Tragfähigkeit von Konzepten wie „soziale Gruppen“, „Korporationen“ oder „Soziabilität“ auch die Differenzierung in Stadt und Land, und zwar unter stärkerer Aufmerksamkeit für kleine Städte, zu überprüfen. Irsiglers Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte, in deutscher Fassung bereits online publiziert 2, setzt vergleichsweise viele thematische Schwerpunkte (Handel und Handwerk; Hanse; Stadtwirtschaft; Märkte, Messen, Fernhandel; Geld und Währungen; Bergbau, Hüttenwesen, Energie; Weinkultur und -handel) und ist dementsprechend facettenreich, gespickt mit vielfältigen Hinweisen auf zu vertiefende Einzelaspekte. Quantifizierende Methoden und serielle Auswertungen blieben Irsigler zufolge auch künftig wichtigste Grundlage wirtschaftsgeschichtlicher Untersuchungen.

Mit der Sozialgeschichte behandelt Knut Schulz ein weiteres großes Thema, dessen engen Konnex zur Rechtsgeschichte er besonders hervorhebt. Ein systematischer Forschungsüberblick wird dabei exemplarisch für drei Bereiche (Adel, Stadt und Bürgertum; Migration; berufliche Gruppen und Gesellschaften) geboten, auch hier mit zahlreichen Verweisen auf Forschungslücken, die vor allem generalisierende und vergleichende Darstellungen beträfen. Hinsichtlich des ersten gewählten Themenkomplexes (Adel, Stadt) kommt es indessen zu Überschneidungen mit den Ausführungen von Ranft und Fouquet, welche mit Blick auf die ohnehin starke thematische Eingrenzung des Bandes vermeidbar gewesen wären.

Besorgt äußert sich schließlich Rudolf Schieffer über die Marginalisierung der Grundlagenforschung und die nachlassende Qualität mediävistischer Grundausbildung. Wie schon an anderer Stelle, unterstreicht er die Wichtigkeit von Editionsunternehmen für eine quellennahe Forschung, geht auf die Schwierigkeiten editorischer Arbeit ein und diskutiert Vor- und Nachteile digitaler Editionen.

Mag auch gegenwärtig das innovative Potenzial der deutschen Mediävistik in mancher Hinsicht über das in den Beiträgen Präsentierte hinausgehen, so bietet der in deutsch-italienischer Kooperation herausgegebene Band dennoch profunde Einblicke in aktuelle Forschungen und Tendenzen. Einen Index vermisst man. Vollständig in italienischer Sprache erschienen, zielt das Sammelwerk vor allem auf ein italienisches Publikum. Welche Rezeption der Band außerhalb Italiens finden wird, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen:
1 Zuletzt Moraw, Peter; Schieffer, Rudolf (Hrsg.), Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, Ostfildern 2005; Goetz, Hans-Werner; Jarnut, Jörg (Hrsg.), Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, München 2003; Goetz, Hans-Werner, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 2002.
2 Irsigler, Franz, Wirtschaftsgeschichte und deutsche Mediävistik <http://geschichte.uni-trier.de/fileadmin/user_upload/Landeskunde%20(Irsigler)/Wirtschaftsgeschichte_und_deutsche_Mediaevistik_2007.pdf> (26.07.2007).

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